Hannah: „Lacrosse für den Sport – Quidditch für die Menschen“

 

Dieser Text ist für den Blog „Fan von DIR“ verfasst worden und wird im Rahmen einer Kooperation auch bei MUS veröffentlicht. In loser Reihenfolge könnt Ihr hier immer mal wieder passende Texte des Blogs zu unpopulären Sportarten lesen. Der Blog „Fan von DIR“ richtet den Fokus auf Frauen im Sport. Es stellen sich dort wöchentlich Sportlerinnen aus ganz Deutschland vor – von Schiedsrichterinnen über Freizeitsportlerinnen, Ehrenamtlerinnen und Frauen im Berufsfeld Sport bis hin zu Olympionikinnen. "Fan von DIR" bietet so eine Plattform, die gegen Klischees und Vorurteile im Sport kämpft und Sportlerinnen ihre Geschichte erzählen lässt.


von Hannah Wolff // lies hier den 1. Teil oder den 2. Teil

Hannah (rechts) bei einem Trainingslager des deutschen Quidditch-Nationalteam.© Jürgen Theobald / FUNKE Foto Services

Hannah (rechts) bei einem Trainingslager des deutschen Quidditch-Nationalteam.

© Jürgen Theobald / FUNKE Foto Services


Dass ich neben dem Lacrosse auch begann Quidditch zu spielen, lag vor allem daran, dass mich die Quidditch Community sehr fasziniert hat. In meinem Austauschjahr in den USA 2016/17 lernte ich Leute aus verschiedenen Teams kennen und alle Menschen waren charakterlich einfach großartig. Der Kern des Quidditch-Teams meiner Uni entwickelte sich in der Zeit zu meinen besten Freund*innen. Besonders toll fand ich die Inklusivität des Sports. Hier spielen alle Geschlechter zusammen. 

Wieder in Deutschland, wollte ich diese tolle Gemeinschaft nicht missen und schloss mich neben meinem alten Lacrosse-Team auch dem lokalen Quidditch-Team an. Priorität hatte für mich aber immer noch Lacrosse. „Lacrosse für den Sport – Quidditch für die Menschen“ war dabei mein Leitspruch. Dieser Leitspruch entsprach aber schon bald nicht mehr ganz der Wahrheit. 

Quidditch bringt neue Herausforderungen mit sich

Hartes Training zahlt sich aus.© Marie Degenhard

Hartes Training zahlt sich aus.

© Marie Degenhard

Meine Quidditch-Coaches haben früh angefangen mich zu pushen. Sie haben mir viele Tipps gegeben und mich auf wichtigen Positionen eingesetzt, damit ich mich entwickeln konnte. Zunächst hat das jedoch nicht gut funktioniert. Lange Zeit habe ich mir mit zwei Männern eine Position geteilt. Die beiden hatten nicht nur mehr Erfahrung, sondern waren auch schneller und stärker. Ich wollte kaum aufs Feld, weil ich wusste, dass wir dann weniger erfolgreich spielen würden. So sehr mich die Gemischtgeschlechtlichkeit zum Sport gebracht hat, so verhängnisvoll war sie doch für mein Selbstbewusstsein auf dem Feld.

Neben dem Platz wurde ich ein immer wichtigerer Teil des Teams. Nach wenigen Monaten wählte das Team mich in den Vorstand unserer neu gegründeten Abteilung und so organisierte ich Spieltage, Stammtische und weitere Events. Das Ganze mit viel Überzeugung in mein Können. Aber auf dem Platz hatte ich noch lange mit meinem Selbstvertrauen zu kämpfen. In allen Bereichen der Quidditch-Gemeinschaft war ich sehr selbstbewusst - nur nicht wenn es um mein eigenes Spiel ging. 

Große Selbstzweifel auf dem Pitch

In meiner zweiten Saison schickten mich meine Coaches zum Auswahltraining für den Natio-Trainingskader. Ich glaubte nicht daran, es wirklich schaffen zu können, doch die Natio-Coaches erkannten Potenzial in mir und nahmen mich mit in den Trainingskader, aus dem die Spieler*innen für die Europameisterschaft zusammengestellt werden würden. Ich konnte es nicht glauben. Überzeugt davon, dass sie einen Fehler gemacht hatten, verbrachte ich die Saison damit, meinen Platz im Team zu hinterfragen. Das heißt nicht, dass mir die Trainingslager mit meinen Mitspieler*innen nicht unglaublich viel Spaß gemacht hätten. Im Gegenteil: Der Trainingskader war eins der tollsten Teams, von denen ich je Teil sein durfte, auch wenn es nicht für den endgültigen Nationalkader reichte. Aber im Training traute ich mich kaum den Ball zu fordern und wenn er doch mal seinen Weg zu mir fand, gab ich ihn schnell wieder ab. Ich wollte nicht das Mädchen sein, was wieder den Ball verloren hat. Wenn ich mal einen Ball nicht gefangen habe, schossen mir ähnliche Gedanken durch den Kopf: „Toll, jetzt hast du wieder gezeigt, dass Mädchen nicht fangen können.“

Durch die zusätzliche Zeit, die ich auf dem Quidditch-Feld verbrachte, blieb immer weniger Zeit für Lacrosse übrig. Und obwohl ich zunächst weiterhin zu allen Trainings in beiden Sportarten ging, litt doch bald meine mentale Gesundheit darunter. Ich hatte keine Zeit mehr für meinen Freundeskreis, keine Zeit mehr etwas zu kochen und keine Zeit mehr abzuschalten. Nach monatelangem Überlegen hörte ich schließlich doch mit Lacrosse auf. Die Entscheidung war schwierig, weil für mich damit ein Raum wegfiel, indem starke Frauen sich selbst organisieren und weil ich das Gefühl hatte, mein Team im Stich zu lassen. Bis heute denke ich manchmal wehmütig zurück an meine Lacrosse-Zeit, aber alles in allem war es die richtige Entscheidung.  

Voller Erfolg: Nominierung für den Nationalkader

Hannah (2.v.l.) im Rahmen ihrer Mitspieler*innen beim Quidditch-Nationalteam.Quelle: Hannah Wolff

Hannah (2.v.l.) im Rahmen ihrer Mitspieler*innen beim Quidditch-Nationalteam.

Quelle: Hannah Wolff

Seit ich mich sportlich in erster Linie auf Quidditch konzentriere, geht es mir mental sehr gut. Ich arbeite weiterhin daran, gute Routinen zu entwickeln und mich neben dem Sport und meinem Team auch um mich zu kümmern. Nichtsdestotrotz bleibt mir genügend Zeit und Energie an meinen sportlichen Zielen zu arbeiten. 

Diese Saison habe ich es geschafft, mich auch auf dem Pitch auf mich zu konzentrieren. In meinem Team fordere ich den Ball ein und ziehe zu den Torringen, statt den Ball gleich wieder abzupassen. Ich gehe das Risiko ein, den Ball zu verlieren und glaube an mich, auch wenn ich Fehler mache. Das hat dazu geführt, dass ich mich stetig verbessere und so haben die Natiocoaches mich diese Saison auch für den Nationalkader für die Weltmeisterschaft in den USA nominiert.

Trotz diesen sportlichen Fortschritten gibt es immer noch viele Situationen, in denen ich nicht die starke Frau bin, die ich gerne wäre. So nehme ich Sportangebote wie Unikurse nicht wahr, wenn nicht explizit geschrieben wird, dass der Kurs gemischtgeschlechtlich oder für Frauen ist. Als Frau könnte ich ja unerwünscht sein. Ich traue mich auch nicht als Schiedsrichterin auf dem Platz zu stehen oder Kommentatorin in Livestreams zu sein. Hier überwiegt noch die Angst, nicht gut genug zu sein. Aber auch daran werde ich weiterarbeiten. Langsam aber stetig. Grundsätzlich bin ich optimistisch, dass ich künftig auch in diesen Bereichen erfolgreich sein kann. Denn meine sportliche Lebensgeschichte ist trotz der vielen Rückschläge und Ungewissheiten durchaus eine Erfolgsgeschichte. Wer hätte schließlich gedacht, dass aus dem kleinen Mädchen vom 1. FC Ackerfeld mal eine deutsche Nationalspielerin im Quidditch wird?