Messe-Trick hilft Quidditch zum Durchbruch

 

von Hannah Wolff

Hanna Große (links) versucht bei der Europameisterschaft 2019 in Bamberg an Suzanne Fischer aus Belgien vorbeizukommen.© Juliane Schillinger / https://www.facebook.com/VanKlaverenQP

Hanna Große (links) versucht bei der Europameisterschaft 2019 in Bamberg an Suzanne Fisher aus Belgien vorbeizukommen.

© Juliane Schillinger / https://www.facebook.com/VanKlaverenQP


Wir schreiben das Jahr 2005. Eine Gruppe von Studierenden des Middlebury College in Vermont sitzt gemeinsam am Mittagstisch. Die genauen Themen der Unterhaltung sind so belanglos, dass sich heute niemand mehr daran erinnert. Zumindest bis sich die Unterhaltung plötzlich um fiktionale Sportarten dreht und wie man sie in die reale Welt übertragen könnte. 

Quidditch erobert das Middlebury College

Zwei dieser Studierenden waren Alex Benepe und Xander Manshel, die Begründer von Quidditch im echten Leben. Benepe erzählt: “Es war Xanders Idee. Er begann sich richtig mit Quidditch-Regeln in der realen Welt zu beschäftigen und als er mir seine Ideen vorstellte, war ich sofort begeistert.” Die beiden wollten die Überlegungen unbedingt umsetzen. Um das nötige Equipment zu besorgen, beantragten sie beim Dekan ihres Wohnheims, den Wonnacott Commons, erfolgreich Mittel und kauften Bälle, Besen und Hoops - zumindest vier Hoops. Da das lokale Geschäft nur vier Hula-Hoop-Ringe auf Vorrat hatte, entschieden sich Benepe und Manshel auf jede Seite des Felds noch einen Mülleimer als dritten Ring zu stellen. Dann luden sie alle Studierenden ihres Wohnheims und einiger anderer Wohnheime ein und zwanzig von ihnen tauchten auf. “Es war von Anfang an ein solcher Erfolg, es gab so viel Gelächter und Aufregung. Alle trugen Handtücher als Umhänge, und eine Person dachte, wir müssten unsere eigenen Besen mitbringen, und weil sie keinen finden konnte, brachte sie eine billige Stehlampe aus ihrem Wohnheim mit.”


Quidditch ist unsere Sportart des Monats Juli. Mehr zu dem Sport findest du hier.


Schnell entwickelte sich das einmalige Event zu einer regelmäßigen Betätigung am Middlebury College. Für Manshel war nach einem Jahr schon Schluss. Er hatte zu viele andere Interessen, denen er nachgehen wollte. Aber Benepe war weiter Feuer und Flamme. Dass sich daraus aber ein Sport entwickeln sollte, der auf der ganzen Welt gespielt würde, daran glaube er zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht. “Ich glaub nicht, dass ich das volle Wachstumspotenzial vor dem dritten Jahr erkannt habe.”, erzählt Benepe. “Wir hatten zwar einen großen Artikel über Quidditch in USA Today im zweiten Jahr, aber die Universität hat uns selbst im dritten Jahr nicht als offizielle Hochschulorganisation anerkannt.” Doch davon wollte er sich nicht stoppen lassen. Zu Beginn jedes Schuljahres findet am Middlebury College eine Art Messe statt, auf der sich alle Hochschulorganisationen vorstellen können. Benepe schlich sich auf die Messe, fand einen freien Tisch und tat so, als wäre Quidditch eine offizielle Organisation. “Die neuen Studierenden hatten durch den Artikel von Quidditch gehört und waren richtig heiß darauf. 300 von ihnen haben sich angemeldet und in diesem Jahr haben wir den ersten ’World Cup’ ausgetragen.” Beim sogenannten World Cup handelte es sich um ein Turnier zwischen verschiedenen Teams des Middlebury College und einem Team vom Vassar College, wo der Quidditch Hype bereits angekommen war. Nun konnte auch die Administration der Universität den Erfolg von Quidditch nicht mehr leugnen. Im nächsten Jahr wurde Quidditch einstimmig als Hochschulorganisation eingestuft. 

Aus Vermont in die weite Welt

Der entstehende Sport faszinierte die Medien - wohl nicht zuletzt wegen seines Ursprungs in den Harry Potter Büchern. In einem Interview erzählte Benepe, dass Studierende des Middlebury College eine große Tour des Nordosten des USA planen, um Quidditch an anderen Colleges vorzustellen. Eigentlich war das bis dato eher eine fixe Idee, als ein wirklicher Plan. Aber als USA Today das veröffentlicht, fühlt sich Benepe verpflichtet, die Idee in die Tat umzusetzen. Und so packen 17 Studierende des Middlebury College im Frühling 2008 ihre Sachen und machen sich in voll beladenen Vans auf den Weg. Sie besuchen sechs Colleges in sieben Tagen. Und erneut sind die Medien gefesselt. Der Boston Globe, MTV, ESPN und CBS berichten darüber. Studierende von über 100 Universitäten melden sich bei Benepe, um selbst ein Quidditch Team zu starten. Benepe lädt sie daraufhin ein, am zweiten World Cup teilzunehmen und zwölf Teams folgen dem Aufruf.

Dann scheinen genug Samen gesät. Quidditch verbreitet sich zunächst in den USA und der sogenannte World Cup wird immer größer. Bis zu 96 US-Teams nehmen jährlich daran teil. Aber auch in anderen Ländern entstehen erste Teams. Das wirft unter anderem die Frage auf, ob ein World Cup auf Club Ebene die Zukunft ist. 2016 wird der ursprüngliche World Cup umbenannt. Nun spielen die US-Team jährlich den Meister des US Quidditch Cups aus. Parallel dazu treten seit 2012 die besten Spieler*innen eines Landes im zweijährigen Rhythmus in der Weltmeisterschaft der Nationalteams an. Bis heute konnten die USA dreimal den Titel holen. Nur 2016 gelang Australien die Überraschung. Aber auch andere Teams, wie Frankreich, Belgien und UK rücken immer näher an die Spitze heran.  Inzwischen gibt es Teams auf allen Kontinenten. So existieren Nationalteams zum Beispiel in Brasilien, Slowenien, Türkei, Uganda, Hongkong und Japan. Allein an der vergangenen Europameisterschaft haben 29 Nationalteams teilgenommen. Die nächste Weltmeisterschaft findet aufgrund der Corona-Pandemie erst 2021 statt, vermutlich in den USA. Ob die Erfinder*innen vom Quidditchsport vor Heimpublikum erneut den Titel holen können, bleibt abzuwarten.

 

Dieser Artikel ist Teil der Reihe “Woher kommt eigentlich…?”. Dabei berichten wir von den Ursprüngen des Sports. Wenn du weitere Ausgaben lesen möchtest, klicke hier.


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