300 Prozent Wachstum - Nina Heise hat Quidditch groß gemacht

 

von Max Martens


Dieser Text ist Teil der Artikelreihe “Gründungsgeneration”. Dort sprechen wir mit Menschen, die von Anfang an Teil ihres Sports sind und diesen mit aufgebaut haben. Weitere Artikel dazu findest du hier: Gründungsgeneration.


Nina Heise bei der Eröffnungsfeier der Quidditch Weltmeisterschaft 2016. Foto: Ajantha Abey Quidditch Photography / facebook.com

Nina Heise bei der Eröffnungsfeier der Quidditch Weltmeisterschaft 2016.
Foto: Ajantha Abey Quidditch Photography / facebook.com

Quidditch ist ein Uni-Sport. Die Mehrheit der Spieler*innen in Deutschland, aber auch weltweit, beginnen mit dem Sport während ihres Studiums, weil Quidditch oft als Sportkurs angeboten wird. Da ist es nicht verwunderlich, dass auch Nina Heise während ihres Erasmus-Semesters 2013 in Southampton dem Sport zum ersten Mal begegnete. Obwohl sie das erste Training nicht überzeugte, ließ sie sich von einer Freundin überreden, weiterhin dorthin zu gehen. Von Zeit zu Zeit gefiel es Heise besser und sie blieb dem Sport bis heute treu. Während der letzten sieben Jahre hat sie Quidditch-Deutschland maßgeblich geformt, so wie wir es heute kennen.

Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland war die Quidditch-Landkarte hierzulande noch ziemlich leer. Gerade mal zwei Team gab es damals, im Frühling 2014: die Taunus Thestrals und die Gelnhäuser Fluffies. Für Nina Heise eine glückliche Begebenheit, denn beide Teams waren wie sie selbst in Hessen beheimatet. Wegen der besseren Erreichbarkeit entschied sie sich, bei den Fluffies mitzutrainieren. 

Dort kam es zu einem Quidditch-Kulturschock. “Sie waren schockiert, als ich die erste Person getackelt habe”, erinnert sie sich. Der Sport, den Heise in England gespielt hatte, war schon viel weiter entwickelt als in der hessischen Kreisstadt. Kurze Zeit später löste sich das Team aus Gelnhausen auf. Weniger den Tacklekünsten von Heise geschuldet, sondern weil die Spieler*innen ihr Abitur machten und sich ihre Wege in der Welt verstreuten. Deshalb nahm Nina Heise ihr Schicksal selbst in die Hand und gründete im Herbst 2014 die Frankfurt Mainticores. 

Weil zur gleichen Zeit in Darmstadt, Freiburg und Passau ebenfalls neue Teams entstanden, kam die Idee eines gemeinsamen Turniers auf. Von dieser Überlegung war es dann nicht mehr weit zur Idee eines deutschen Dachverbandes. Die Gründung hatte außerdem den Vorteil, dass deutsche Teams beim European Quidditch Cup (EQC) teilnehmen durften. Angestoßen wurde das Projekt “Deutscher Quidditchbund” (DQB) von Juliane Schillinger, die bis zum Sommer 2018 für PR und Marketing im Vorstand des DQB zuständig war. 

Heise hatte ebenfalls Ambitionen auf den Posten, musste Schillinger bei der Gründungsversammlung, die während des EQC-Qualifikationsturniers 2015 stattfand, allerdings den Vortritt lassen. Stattdessen bekleidete sie das Amt der Vize-Präsidentin hinter dem ersten DQB-Präsidenten Jonas Zinn. “Das war eher eine pragmatische Entscheidung”, erklärt Heise den Schritt beim DQB mitwirken zu wollen. “Ich wollte, dass etwas passiert, also habe ich mitgemacht”.

Nach acht Monaten machte Zinn den Präsidenten-Posten aus zeitlichen Gründen frei und Heise rückte nach. “Weil ich mit dem Vize-Präsidenten-Job gut zurecht gekommen bin, dachte ich, kann ich auch Präsidentin machen”, lacht sie. Zu Vorstandstreffen kam es damals noch unregelmäßig, erst mit etwas Routine kristallisierte sich der wöchentliche Termin heraus, den es heute immer noch beim DQB gibt. Weil die Vorstandsmitglieder über ganz Deutschland verteilt waren, traf man sich per Videochat, um die wichtigsten Themen abzuarbeiten. Für kleinere Anliegen zwischendurch gab es außerdem eine Facebook-Gruppe.

Die erste große Hürde für Heise war die Überlegung, wie man Teams, die nicht nach international anerkannten Regeln spielen wollten, trotzdem im Dachverband integrieren kann. Schließlich wollte man alle Quidditch-Begeisterten verbinden. Dieses Problem löste sich allerdings von selbst, denn das einzige Team, die Skyhogs aus Berlin, das nicht nach diesen Regeln spielen wollte, löste sich bald auf. Außerdem arbeitete der Vorstand am Aufbau eines deutschlandweiten Turnierbetrieb. 

Am meisten zu kämpfen hatte die erste Präsidentin des DQB aber mit dem Finanzamt. Mehrere Male wurde der Satzungsentwurf abgelehnt und als Heise persönlich beim zuständigen Sachbearbeiter anrief, legte er ihr nahe, es doch sein zu lassen, weil ein Dachverband für “so etwas” doch keinen Sinn ergebe. Man könne ja auch dem Handballverband beitreten. “Diese Zeit war sehr frustrierend”, blickt Heise zurück. “Sicherlich haben wir auch Fehler gemacht, da wir alle keine Rechtsexperten waren, aber es hätte trotzdem nicht so lange dauern müssen”. Letztendlich zog sich der Prozess über eineinhalb Jahre hin und andere Projekte mussten meist in zweiter Reihe warten.

Ein umso erfreulicheres Ereignis in Heises Amtszeit war die Quidditch-Weltmeisterschaft 2016 in Frankfurt am Main. “Es fing alles mit einer Schnapsidee an und dann stehen plötzlich ein Jahr später all diese Menschen da”, freut sich Heise über das gelungene Event. Für sie zählt diese Erfahrung zu den Highlights ihrer Quidditchkarriere. Auch als Spielerin, mit schwarzem Headband, stand sie auf dem Platz. 

Auf dem Feld sorgt Nina Heise als Beaterin für Ordnung. Foto: Jenny Krafczyk

Auf dem Feld sorgt Nina Heise als Beaterin für Ordnung.
Foto: Jenny Krafczyk

Womit sie allerdings nicht gerechnet hatte, war die Auswirkung, die dieses internationale Turnier auf die deutsche Quidditch-Szene haben würde. Innerhalb der folgenden 12 Monate stieg die Anzahl der Teams von ca. 10 auf ca. 40 Teams an. “Wir hatten es uns gewünscht, aber nicht erwartet”, sagt Heise. Die plötzlich stark gestiegene Anzahl an Teams brachte allerdings mehr Arbeit mit sich. Neue Fragen zur Satzung und zu den verschiedenen Mitgliedschaften kamen auf und man erweiterte die DQB-Volunteer-Positionen.

Zwei weitere Jahre blieb Nina Heise im Amt der Präsidentin. Im Sommer 2018 war nach drei Jahren Schluss. “Was ich persönlich gelernt habe, ist Hartnäckigkeit”, resümiert sie. “Ich habe auch gemerkt, wie wichtig Kommunikation in allen Bereichen ist”. Nicht immer verlief dies zur Zufriedenheit der DQB-Mitglieder. 

“Mehr Transparenz ist eine Sache, die man schon früher hätte angehen müssen”, sagt Heise. “Wenn Leute verstehen, was man macht, dann fällt es leichter anzuerkennen, warum man es macht”. Erst nach einiger Zeit begann man die Sitzungsprotokolle des DQB-Vorstands öffentlich zugänglich zu machen. Auch für die Teamvertreter*innen kam es erst 2017 mit einer weiteren Facebook-Gruppe zu einem zentralen Austauschort zwischen Dachverband und Mitgliedern.

Es war nicht immer leicht für Nina Heise. Drei Faktoren brachten sie schließlich dazu, nicht noch einmal für das Präsidentinnenamt zu kandidieren: Aufwand, Stress und Druck. In manchen Wochen verbrachte sie mehrere Stunden täglich für ihre Vorstandsarbeit. "Nach meiner normalen Arbeit konnte ich abschalten, bei meiner Quidditch-Arbeit ging das nicht", erklärt sie. 

Ständig checkte sie ihre Mail, um nichts zu verpassen und immer wieder schoben sich Themen auf und häuften sich. Das führte dazu, dass Heise sich selbst zu sehr unter Druck setzte. Nachdem sie das Amt abgegeben hatte, ruhte sie sich allerdings nicht aus. Gemeinsam mit Patricia Heise übernahm sie für zwei Jahre die Leitung des deutschen Entwicklungsteams. Zusammen trainierten sie die vielversprechendsten Talente des deutschen Quidditchs. 

Jetzt nimmt sich Nina Heise zum ersten Mal seit fünf Jahren eine Pause von einer DQB-Tätigkeit. Quidditch spielt sie weiterhin in ihrem Frankfurter Team.

Was bleibt, ist das rasante Wachstum der deutschen Quidditch-Szene und eine unvergessliche WM 2016. In Heises Amtszeit hat sich der Sport professionalisiert. Alle Quidditchteams in Deutschland sind selber ein Verein oder Teil eines Vereins. Die Satzung des DQB setzt das voraus, um Vollmitglied im Verband zu werden.

Obwohl es heutzutage ca. viermal so viele Teams gibt wie zum Anfang ihrer Amtszeit, wünscht sich Heise einen weiteren Ausbau des Spielbetriebs. Außerdem wünscht sie sich, dass Quidditch noch inklusiver wird. “Quidditch ist ein ziemlich ‘weißer Sport’”, sagt sie. Man müsse sich natürlich selbst an die Nase fassen, was das Recruiting neuer Spieler*innen angeht, trotzdem frage sie sich, welche Ursachen dieser Tatsache zu Grunde liegen. Ein weiterer Wunsch ist, in Zukunft mehr Menschen abseits von Universitäten für Quidditch zu begeistern. Damit Quidditch nicht mehr nur ein Uni-Sport bleibt.


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