Daniel MUStermann denkt nach … Wie Vorbilder uns zum Sport verführen
Als Sportler eifern wir gerne Vorbildern nach. Wer als Kind zum Beispiel Dirk Nowitzki bewundert hat, der wollte ganz sicher einmal Basketballspieler werden. Wer Alisa Aarniomäki springen sah, wollte Hobby Horsing ausprobieren. Wer Aufschläge von Skyler Boles gesehen hat, dürfte beim Roundnet gelandet sein. Wer Diego Maradonna oder Zinedine Zidane die Idole seiner Kindheit nannte, sollte sich auf dem Fußballplatz heimisch finden.
In meinem Fall hat die Sozialisation mit dem Fußball nicht richtig funktioniert. Als ich Mitte bis Ende der 90er-Jahre damit begann, mich ernsthaft analytisch mit dem Thema Fußball auseinanderzusetzen, waren das vergleichsweise dunkle Zeiten in Deutschland.
Leute wie Dieter Eilts und Mattias Sammer rumpelten für das Nationalteam über den Platz. Kampfgeist und Siegeswille waren die, etwas zweifelhaften, positiven Eigenschaften. Oliver Bierhoff fand ich als Knirps ganz nett. Doch mit Zidane oder Maradonna konnte der natürlich nicht ansatzweise mithalten. Also wollte ich kein Fußballspieler werden. Tatsächlich habe ich bis heute nicht eine einzige Sekunde in einem Fußballverein gespielt. Ich landete stattdessen beim American Football, wo ein gewisser Brett Favre in den fernen USA so viel mehr Heldenmut verströmte als ein Oliver Bierhoff das jemals zu leisten im Stande wäre. Wo Jerome Bettis die gegnerischen Abwehrreihen tausendmal schöner durchpflügte als es ein Dieterr Eilts je können würde.
Bettis wurde aufgrund seiner massigen Statur und seiner einzigartigen Spielweise „The Bus“ genannt. Und tatsächlich fuhr in Pittsburgh, dort spielte Bettis für das ortsansässige NFL-Team, ein Bus mit seinem Konterfei durch die Straßen der US-Metropole. Das sind die großen Geschichten, die in Kinderaugen ganz normale Menschen zu gottgleichen Idolen werden lassen. Also wurde ich Football-Spieler.
American Football war Mitte der 90er Jahre in Deutschland definitiv noch ein unpopulärer Sport. Es gab keine NFL-Liveübertragungen im Fernsehen, weil es auch keine deutschen Spieler in der NFL gab und der Sport in Deutschland war ein reiner Amateursport. Viele Deutsche wussten meistens gar nicht richtig, wie dieser Sport funktioniert.
Inzwischen ist das völlig anders. Während der NFL-Saison fesselt Football sonntags bei „Ran NFL“ oftmals ein Millionenpublikum vor den deutschen TV-Bildschirmen. Football-Protagonisten wie Christoph „Icke“ Domisch und Patrick „Coach“ Esume sind zu echten Fernseh-Promis aufgestiegen. Esume war sogar als Buchautor einige Zeit in den Bestseller-Listen.
Und auch in der NFL selbst gibt es mittlerweile sogar mehrere deutsche Spieler. Sebastian Vollmer (mit dem ich damals in Düsseldorf übrigens kurzzeitig im gleichen Team gespielt habe) hat den Weg für die deutsche Generation in der NFL bereitet. Er war der erste Deutsche, der beim Draft (Auswahl der Talente) gezogen wurde und der erste, der den Super Bowl gewonnen hat. Er hat Football mit seinen Erfolgen gewissermaßen etwas aus der Nische geholt.
Das wirkt sich auch auf den Sport in Deutschland aus. In der höchsten deutschen Spielklasse laufen zwar vereinzelt immer noch Amateure herum, aber auch die Spiele in der German Football League werden inzwischen längst alle per Livestream übertragen. Wenn man das sieht und die regelmäßigen TV-Übertragungen dazu nimmt, kann man feststellen: American Football ist in der Klasse der Mainstream-Sportarten angekommen. Inzwischen ist der Kampf um das unförmige Leder definitiv kein unpopulärer Sport mehr.
Und trotzdem war er für mich auch in den Zeiten der Unpopularität damals der einzig wahre Sport. Elf Jahre spielte ich Football. Es war die pure Leidenschaft. Auf den Positionen von Favre und Bettis habe ich selbst tatsächlich nie gespielt. Trotzdem bin ich heute noch Fan ihrer beiden NFL-Teams und die Leidenschaft für diesen einzigartigen Sport vergeht vermutlich nie so ganz.
In unserer Kolumne schreiben die vier Gründungsmitglieder der MUS-Redaktion in loser Folge über Themen, die sie beschäftigen.
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