Zwei Städte, zwei Ansätze - wie Hamburg und Berlin Jugger prägten

 

von Eva Ristau

Endzeit, Rollenspiel und Sport waren im Jugger früher nicht zu trennen. Auf der zweiten Hamburger Meisterschaft (1996) ist dies noch deutlich zu erkennen.  (Foto: Siegfried Urschel)

Endzeit, Rollenspiel und Sport waren im Jugger früher nicht zu trennen. Auf der zweiten Hamburger Meisterschaft (1996) ist dies noch deutlich zu erkennen.
(Foto: Siegfried Urschel)


Erste Schritte einer jungen Sportart

Im Sommer 1992 wurde in Berlin und Hamburg damit begonnen, Jugger zu spielen. Spannenderweise entwickelte sich der Sport vor sehr unterschiedlichen Hintergründen. Zum einen wurde auf mehreren Life Action Role Play (LARP) Conventions Jugger gespielt. Teilnehmer aus verschiedenen Regionen waren begeistert von dem Spiel und nahmen es als Idee mit nach Hause, unter anderem nach Hamburg.

Siegfried ‘Siggi’ Urschel ist eins der Hamburger Urgesteine und ist schon seit den ersten Jahren mit dabei. Auch er lernt Jugger über Freunde aus dem LARP-Hintergrund kennen. Trotz anfänglicher Skepsis ist er nach einigen Trainings absolut begeistert von dem noch jungen Sport und engagiert sich bis heute im Hamburger Jugger.

“Am Anfang fand ich Jugger unglaublich albern. Ich habe über meinen Nebenjob einige LARPer kennengelernt und mich von denen überreden lassen, mit zum Training zu gehen. Zuerst bin ich nur gelaufen, um keine dieser komischen Pompfen anfassen zu müssen (lacht). Doch bald ist mir aufgefallen, dass Jugger deutlich mehr Substanz hat, als ich geahnt hatte, und ich war absolut begeistert” erinnert sich Urschel.

Parallel dazu sah eine Gruppe junger, kreativer Köpfe um Lester Balz in Berlin den Endzeitfilm ‘Jugger - Kampf der Besten’ und war begeistert. Die Idee einer sportlichen Umsetzung des Spiels aus dem Film entstand. Hier lag der Fokus allerdings von vornherein mehr auf Endzeit, Show, Sport und Öffentlichkeitsarbeit als auf Mittelalter und Rollenspiel. Bald wurden erste Pompfen gebaut und viel mit Regeln experimentiert.

Wie ist Jugger eigentlich enstanden? Die Antwort gibt es hier!

Neben der Frage, welche Ideen spielbar waren und welche nicht, konzentrierte man sich in Berlin immer ganz klar auf die Sicherheit der Spieler. So waren die frühen Berliner Jugger beispielsweise sehr skeptisch, ob es eine Möglichkeit gäbe, die Kette ins Spiel mit einzubauen. Die Angst vor Strangulationsgefahr hielt sie in den ersten Jahren davon ab.

Außerhalb von Berlin wurde anfangs vielerorts noch mit LARP-Waffen Jugger gespielt. Von einheitlichen Regeln und Vorgaben zu Pompfen, wie wir sie heute kennen, war noch nicht viel zu erkennen. Dennoch wurde Jugger schon in dieser frühen Phase mehr und mehr zum eigenständigen Sport, der auch ohne LARP-Kontext ausgeübt wurde.

Dadurch kam es zu ersten Meinungsverschiedenheiten in der noch sehr kleinen Community. Manche der mehr am Rollenspiel als am Sport interessierten Jugger kehrten dem neuen Hobby bald wieder den Rücken zu - Jugger wurde ihnen zu ‘sportlich’ und entwickelte sich zu sehr vom LARP weg.

1995 kam es zu den ersten Kontakten einzelner Hamburger und Berliner Jugger. Auch wenn die Stimmung auf beiden Seiten primär freudig erregt war, traten bereits hier einige Meinungsunterschiede zu Tage. Die Hamburger hatten beispielsweise nur wenig Interesse daran, Jugger weiter zu verbreiten und publik zu machen. Lester Balz und einige andere Berliner hingegen strebten Jugger als neuen Volkssport an.

Nach zahlreichen Modifikationen entwickelte sich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eine Spielvariante von Jugger, die der heutigen bereits sehr ähnlich war. Auch ein überregional gültiges Regelwerk entstand und es wurden die ersten Turniere ausgetragen.

Mitte der 90er war die Nähe zum LARP im Jugger noch deutlich zu erkennen. Heute spielt niemand mehr im Kettenhemd und auch Kriegsbemalung gibt es nur noch selten.  (Foto: Siegfried Urschel)

Mitte der 90er war die Nähe zum LARP im Jugger noch deutlich zu erkennen. Heute spielt niemand mehr im Kettenhemd und auch Kriegsbemalung gibt es nur noch selten.
(Foto: Siegfried Urschel)

 So weit, so gut - Oder auch nicht?

Auch wenn man zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre gemeinsam Jugger gespielt hatte, wurde gegen Anfang der 2000er Jahre ein zunehmender Unmut zwischen den Hamburger und den Berliner Juggern spürbar.

Aus heutiger Sicht entzündete sich dieser Konflikt zum einen an der Eintragung der Wortmarke Jugger 1997 in Berlin, zum anderen in den Jahren danach an dem Entwurf eines ersten überregionalen Regelwerkes sowie der Ausrufung einer ersten Jugger Liga.

“Es wurden zwar sinnvolle Strukturen geschaffen, diese wurden den anderen Teams aber eher ungefragt aufgedrückt.” erinnert sich Siggi Urschel daran, wie die Jugger im Hamburger Einflussbereich sich von diesen Entwicklungen übergangen und bevormundet fühlten. Dies war sicherlich nicht die Intention von Seiten der Berliner, hat das Verhältnis der beiden Regionen aber trotzdem für viele Jahre geprägt.

Von Anfang an war die Hamburger Meisterschaft, das älteste Juggerturnier Deutschlands, beispielsweise eine Art Antithese zur Deutschen Meisterschaft in Berlin. Noch heute liegt auf dem Hamburger Turnier der Fokus sehr auf gemeinsamem Feiern, Spaß und Austausch als auf leistungsorientiertem Sport.

Doch nicht nur zwischen dem Hamburger und dem Berliner Einflussbereich kam es zu Uneinigkeit und Auseinandersetzungen. Nach verschiedenen internen, teils heftigen Konflikten verlässt Balz 2012, damals seit 14 Jahren Vorstand des Vereins, mit seinem Team Rigor Mortis den Berliner Jugger e.V.

Mittlerweile kann Balz auf fast 30 Jahre Juggergeschichte zurückblicken und hat eine sehr positive Perspektive. “Ich bin unglaublich dankbar für das breite Spektrum an sportlichen und sozialen Erfahrungen, die ich im Jugger machen durfte. Besonders zu lernen, nach großem Ärger und negativen Erfahrungen loszulassen und zu verzeihen, hat mich persönlich unglaublich bereichert” reflektiert er inzwischen.

Lester Balz (ganz rechts) und sein Team Rigor Mortis nach der WM in Darmstadt 2018.  (Foto: Lester Balz)

Lester Balz (ganz rechts) und sein Team Rigor Mortis nach der WM in Darmstadt 2018.
(Foto: Lester Balz)

Und heute?

Bei den Recherchen für diesen Artikel wurde spannenderweise deutlich, dass es inzwischen größtenteils Gemeinsamkeiten zwischen den ehemals zerstrittenen Hamburgern und Berlinern gibt. Sowohl Urschel als auch Balz äußerten sich primär positiv darüber, wie sich der Sport, die Pompfen und die Community bis heute entwickelt haben.

Sie freuen sich über die stetige Weiterentwicklung des Sports. Mit ansehen zu dürfen, wie das, was sie einst mit gesät haben, wächst und gedeiht, empfinden beide als etwas sehr Wertvolles. Diese Ansicht teilen sie mit vielen anderen, heute noch aktiven Jugger-Veteranen. Niemand sieht einen Sinn darin, noch viel über inzwischen begrabene Konflikte zu sprechen.

Es gibt aber auch Entwicklungen, die beide unabhängig voneinander kritisch sehen. Zum Beispiel, dass durch stetige Optimierung und Gewichtseinsparung an den Pompfen und die zunehmende Beschleunigung des Spiels Sicherheit und Fairplay manchmal auf der Strecke bleiben. “Dadurch, dass die Griffe der Pompfen teilweise nicht mehr gepolstert werden, wird der minimale Spielvorteil einer fünf Gramm leichteren Pompfe über die Sicherheit gestellt. Das finde ich nicht in Ordnung”, so Balz.

Auch Urschel hat eine ähnlich kritische Perspektive auf Powergaming und das Ausnutzen von Lücken im Regelwerk. “Die Spieler ruhen sich inzwischen zum Teil sehr auf den Regeln und den Schiedsrichtern aus, anstatt auf Ehrlichkeit und Selbstregulation zu achten. Außerdem finde ich es schade, dass es inzwischen so viele leistungsorientierte Mixteams gibt, anstatt dass die Leute im regionalen Verbund spielen und trainieren.”

Doch auch wenn man inzwischen sehr nachsichtig über die alten Zeiten spricht und denkt, haben sich manche Unterschiede im Hamburger und Berliner Mindset bis heute erhalten. Die Hamburger Jugger sind beispielsweise nach wie vor eher lose und privat organisiert, ohne Verein oder Hierarchie. Wer sich einbringt, ist dabei.

In Berlin wird hingegen wie an vielen anderen Orten weiter auf verschiedenen Ebenen an der Professionalisierung des Sports gearbeitet. Balz ist beispielsweise schon lange nicht mehr der Einzige im Jugger, der sich Strukturen wie einen Dachverband wünscht.


Wenn dir der Artikel gefallen hat und du uns gerne unterstützen möchtest, dann kannst du das auf  Patreon  oder PayPal tun. Wenn du wissen willst, wofür wir deine Unterstützung brauchen, dann schau bei uns im  Fanclub vorbei!