Quidditch: WM-Entscheidung wirft Fragen auf
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Die nächste Quidditch-WM wird in den USA stattfinden. Der Quidditch Weltverband IQA hat entschieden, am Austragungsort Richmond/Virginia festzuhalten. Zwar wird die WM um ein weiteres Jahr auf 2023 verschoben, aber auch dann dürfte sich das Problem des strukturellen Rassismus in den USA nicht erledigt haben. Es ist also äußerst fraglich, ob sich die IQA mit dieser Entscheidung einen Gefallen getan hat.
Zunächst einmal hat die IQA eine große Chance vergeben. Mit einer Entscheidung, die WM nicht in den USA auszutragen, hätte der Weltverband ein wichtiges Zeichen setzen können. Ein Zeichen dass ein Sport wie Quidditch sein wichtigstes Event nicht in einem Land austrägt, wo Schwarze Menschen nach wie vor befürchten müssen, jederzeit bei einer Polizeikontrolle erschossen zu werden.
Dass diese Chance vertan wurde, ist schade, aber nicht der entscheidende Kritikpunkt. Dieser ist viel eher in der Art und Weise zu finden, wie diese Entscheidung zustande kam. Nachdem ein offener Brief aus der Community sich im Sommer 2020 eindringlich gegen die USA als Austragungsort ausgesprochen hatte, stand die IQA unter Druck. Der offene Brief von Jamie Lafrance thematisierte nämlich vor allem Sicherheitsbedenken.
Als Reaktion rief die IQA ein BIPOC-Komitee ins Leben. Es bestand aus neun Personen (beheimatet in vier verschiedenen Kontinenten), die mit verschiedenen Gendern und Herkunftsländern einen möglichst diversen Blick auf die entscheidenden Fragen werfen sollten. Dieses Komitee sollte also untersuchen, welche Kriterien an einen WM-Austragungsort zu stellen sind und ob Richmond/Virginia diese erfüllt. Wer der IQA gegenüber negativ eingestellt ist, könnte jetzt vermuten, dass die IQA diese unliebsame Entscheidung so elegant ausgelagert hat.
Tatsächlich lässt sich allerdings viel eher vermuten, dass der Weltverband eine möglichst diverse Meinung von Personen mit verschiedensten Hintergründen einholen wollte. Schließlich finden sich unter den Mitgliedern des BIPOC-Komitees zahlreiche Menschen wie Keith Jones oder Christian Barnes, die Rassismus immer wieder öffentlich anprangern und selbst von Rassismus betroffen sind. Barnes hatte in der Diskussion rund um den offenen Brief zum Ausdruck gebracht, dass er sich als Schwarzer bei einem Turnier in den USA nicht sicher fühlt.
Das BIPOC-Komitee war also durchaus mit kritisch eingestellten Personen besetzt. Wie kann es also sein, dass dieses Komitee letztlich zu der Einschätzung kommt, dass eine WM in der US-amerikanischen Stadt Richmond eine gute Sache wäre?
Aus dem Komitee selbst ist dazu zu hören, dass im Gegensatz zum Sommer 2020 Donald Trump nicht mehr Präsident sei und Black Lives Matter viel erreicht habe. Beides ist sicherlich unstrittig. Ein Präsident, der nicht Donald Trump heißt, macht das Land (ganz generell übrigens) zu einem sichereren und weltoffeneren Land. Und auch die Erfolge von Black Lives Matter sind nicht zu leugnen. Trotzdem ist der strukturelle Rassismus in den USA alles andere als überwunden. Inwiefern sich Minderheiten in den USA jetzt sicher fühlen können, bleibt eine offene Frage.
Umso wichtiger wäre es gewesen, dass sich das Komitee dieser Frage mit aller Ausführlichkeit widmet und verschiedene Einschätzungen der Lage einholt. Doch genau an diesem Punkt bietet sich Anlass für Kritik. Die Vorgehensweise des BIPOC-Komitees hat die IQA hier in einer Präsentation veröffentlicht.
Es wird zunächst offensichtlich, dass das Komitee bei der Ausarbeitung der entscheidenden Fragen und Kriterien sehr viel Sorgfalt walten lassen hat. Die nationalen Verbände wurden ebenso befragt wie Volunteers und Personen, die Quidditch aktiv auf dem Spielfeld ausüben. Soweit so gut – eine diverse Sichtweise aus verschiedenen Standpunkten war hier also durchaus gewährleistet bei der Erstellung der Fragen.
Das Problem ist der zweite Teil der Komitee-Arbeit: die Beantwortung der Fragen. Hier wurde einzig und allein mit Richmond-Tourismus gesprochen. Das ist bei näherem Hinsehen eine absurde Vorgehensweise. So überlässt man die Beantwortung der Frage, ob Richmond ein geeigneter Austragungsort ist, der Stadt selbst.
Natürlich hat die Tourismusbehörde der Stadt Richmond ein kommerzielles Interesse daran, dass die Quidditch-WM in Richmond stattfindet. Insofern kann hier von einer objektiven Beantwortung der Frage, ob Richmond eine sichere Stadt ist, keine Rede sein. Natürlich sagt Richmond-Tourismus, dass die Sicherheit garantiert werden kann. Aber mit Verlaub, das dürfte in etwa so viel Wert sein wie der typische Satz eines Hundebesitzers: „Der will ja nur spielen.“
Im Fall Richmond wäre es wichtig gewesen auch andere Ansprechpartner mit einzubeziehen. Es wäre interessant gewesen, zu hören was lokale Black-Lives-Matter-Gruppen oder lokale Vertretungen aus der LGBTQ+ Community zu den entscheidenden Fragen zu sagen hätten. Ist ihre Stadt ein sicherer Austragungsort für eine Quidditch-WM? Diese Einschätzungen wären interessant gewesen. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, dass in diesem Fall ein durchaus anderes Bild der Lage gezeichnet worden wäre. Insofern hinterlässt diese Vorgehensweise Fragezeichen.
Natürlich kann es sein, dass sich das BIPOC-Komitee hier auf seine eigene Einschätzung verlassen hat. Immerhin war es, wie oben erwähnt, durchaus mit kritischen Geistern und betroffenen Personen besetzt. Tatsächlich ist zu hören, dass viel inoffiziell ablief und dass durchaus Kontakt zur lokalen Quidditch-Community bestand. Doch zumindest aus der Veröffentlichung der IQA geht dies nicht hervor und eine Presseanfrage zu diesem Thema blieb unbeantwortet. So sind nach wie vor viele Fragen offen und diese Entscheidung pro USA bleibt zumindest unverständlich.