Das Berlin-Phänomen: Warum ist die Hauptstadt sportlich unpopulär?
von Daniel Knoke
Die MUS-Redaktion sitzt in Berlin. Insofern sollte man annehmen, dass für unpopuläre Sportarten Berlin der Nabel der Welt ist. Doch weit gefehlt – für viele Sportarten ist Berlin überhaupt kein Hotspot. Tatsächlich hat sich in verschiedenen Podcasts und Artikeln gezeigt, dass das MUS-Team einem interessanten Phänomen auf der Spur ist: Trotz besten Grundvoraussetzungen ist die deutsche Hauptstadt in vielen Sportarten vergleichsweise unterrepräsentiert.
Egal ob beim Padel oder beim Roundnet – Berlin spielt nicht so eine große Rolle wie andere Standorte. Dabei sind die Voraussetzungen eigentlich ideal: Die Stadt ist mit über 3 Millionen Einwohnern viel größer als jede andere deutsche Großstadt. Sie ist multikulturell, offen für Neues und bietet so eigentlich beste Voraussetzungen für Sportarten, die noch nicht zu den etablierten Sportarten zählen. Es gibt viele Sportanlagen und unzählige Parks. Auch an der Infrastruktur kann es also eigentlich nicht liegen, dass das Herz des unpopulären Sports nicht unbedingt an der Spree schlägt.
Egal ob Padel oder Roundnet – Berlin spielt keine große Rolle
Ein ähnliches Phänomen zeigt sich übrigens, wenn man auf etablierte Sportarten blickt. Beim Fußball sorgt der selbsternannte „Big City Club“ Hertha BSC zwar mit zahlreichen Anekdoten und unterhaltsamen Darstellern (Klinsmann, Kalou) jederzeit für Unterhaltung. Doch den eigenen Sportlichen Ansprüchen läuft die „Alte Dame“ seit Jahren hinterher. Von A wie Amsterdam bis Z wie Zagreb spielen eigentlich alle Teams der Hauptstädte großer europäischer Fußballnationen regelmäßig in der Champions League – nur Berlin war da seit 20 Jahren nicht vertreten.
Dass Hertha nicht mit Hauptstadtclubs aus London (Chelsea, Arsenal, Tottenham), Paris (PSG) oder Madrid (Real, Atletico) konkurrieren kann, hat sicherlich auch andere Gründe, aber eine beliebte Erklärung für dieses Phänomen ist der deutsche Föderalismus. Der bietet sich natürlich auch als Erklärung für den unpopulären Sport an. In zentralistisch geprägten Staaten wie Großbritannien oder Frankreich ist es schließlich so: Fördermittel gehen bevorzugt in die Hauptstadt, die beste Infrastruktur gibt es dort und zudem gibt es ein generelles Bewusstsein, dass wer was erleben will, in die Hauptstadt muss.
Doch gibt es so ein Bewusstsein gerade für Berlin nicht auch? Und ist nicht auch das Argument mit der Infrastruktur für Berlin wenig haltbar? Schließlich sind die Voraussetzungen für unpopulären Sport absolut gegeben. Es gibt unzählige Parks und unzählige Beachvolleyball-Felder (auch indoor) auf denen man Roundnet spielen kann. Einen Berliner Roundnet-Verein sucht man aktuell bislang trotzdem vergeblich. Die deutschen Roundnet-Clubs tummeln sich eher im Westen und Süden Deutschlands.
Ähnlich sieht es beim Padel aus. Es gibt mehrere Padel-Courts in Berlin (indoor und outdoor), aber trotzdem ist Berlin für den organisierten Padel-Sport ein schwieriges Pflaster, wie uns der deutsche Padel Meister im aktuellen MUS-Podcast erzählt.
Das Außergewöhnliche erscheint normal
Grundsätzlich können wir also festhalten: An der Infrastruktur liegt es nicht. Der Föderalismus dient nur bedingt als Erklärung. Schließlich ist es so: Wer in Berlin einen unpopulären Sport ausüben will, hat auf jeden Fall die Möglichkeit dafür. Es gibt vielleicht nur ein einziges Team für den jeweiligen Sport (was im Vergleich zu anderen deutschen Städten oft sehr wenig ist) und oft ist es auch nicht das erfolgreichste Team. Aber grundsätzlich sollte man für jeden noch so unbekannten Sport Mitstreiter in Berlin finden - auch wenn diese nicht zwingend in einem Verein organisiert sind.
Und vielleicht ist genau das letztlich das Problem. In Berlin gibt es (ähnlich wie in der Kultur) jeden erdenklichen Sport irgendwo irgendwie. An jeder Straßenecke gibt es, zugespitzt formuliert, etwas interessantes Neues zu entdecken. Die Konkurrenz ist so groß, dass dem Berliner das Außergewöhnliche manchmal normal erscheint. In einer deutschen Kleinstadt kann man mit einem neuen unpopulären Sport auffallen und Neugierde wecken, weil es sonst nur Fußball, Handball und vielleicht noch Tennis gibt. In Berlin heißt es hingegen: „Quidditch-Training? Nein, danke. Ich gehe schon regelmäßig zum Jugger, spiele in der Freizeit Roundnet und wollte demnächst mal Padel ausprobieren.“
Insofern ist Berlin vielleicht doch ein Hotspot des unpopulären Sports. Es gibt in den einzelnen Sportarten zwar nicht so viele Teams wie in anderen Städten und Regionen. Diese sind auch nicht so erfolgreich wie in anderen Teilen Deutschlands, aber in der Gesamtbetrachtung über die Grenzen der Sportarten hinweg, gibt es in der deutschen Hauptstadt eine Vielfalt an unpopulären Sport, die seines gleichen sucht. Letztlich ist also auch der MUS-Standort vielleicht nicht komplett falsch gewählt.