Eva MUSterfrau denkt nach ... über was der zweite Lockdown mit uns macht
von Eva Ristau
Egal ob in Kiel, Osnabrück, Berlin oder auf irgendeinem der Turniere in ganz Deutschland und darüber hinaus - Jugger ist seit Anfang 2014 immer ein fester Bestandteil meines Lebens und Alltags gewesen. 2017 und 2018 habe ich mir aus verschiedenen Gründen einige Monate Jugger-Pause gegönnt. Doch selbst damals war der Sport durch meine juggernden Mitbewohner und Freunde sowie die Nachbereitung eines großen internationalen Turniers, das ich 2017 mit organisiert habe, immer präsent.
Das ist jetzt anders. Meiner Meinung nach ist gerade sehr deutlich spürbar, dass eben nicht nur einzelne Spieler pausieren oder einzelne Teams vielleicht eine Saison lang weniger aktiv sind. Stattdessen liegt die ganze Sportwelt lahm, egal ob unpopulär oder nicht. Und im Gegensatz zum Frühjahrslockdown ist das jetzt bis auf wenige Ausnahmen im Sommer eben schon gefühlt das ganze Jahr so.
Ich finde das schlaucht ganz schön. Zum einen fehlt natürlich der Sport als solches - Bewegung, Spaß, Ausgleich, Erfolgserlebnisse und alles, was dazu gehört. Aber Sport ist ja noch viel mehr. Ein bis drei regelmäßige Trainingstermine, die die Woche gliedern und Struktur geben. Immer mal wieder ein Turnier oder gemeinsames Training mit anderen Mannschaften für Abwechslung und Spannung. Sozialkontakte. Zusammen an etwas arbeiten und besser werden, Höhen und Tiefen, Freude und auch mal Unzufriedenheit erleben.
Besonders die Menschen fehlen mir. Ich glaube, das geht gerade sehr vielen von uns so. Besonders in unpopulären Sportarten sind die Communities in der Regel klein und entsprechend eng vernetzt. Man kennt sich, trifft sich regelmäßig bei Turnieren und anderen Events, spielt, diskutiert und feiert zusammen.
Genau deshalb sind meiner Meinung nach die durch Corona nötigen Kontaktbeschränkungen und besonders das Sportverbot im Moment so schwierig für viele Anhänger des unpopulären Sportes. Die Auflagen beeinflussen eben nicht nur, ob wir gerade trainieren dürfen oder nicht. Als wäre das alleine noch nicht genug, verändern sie kurzfristig, aber inzwischen auch langfristig den ganzen Alltag.
Viele von uns üben mehrere Sportarten aus und sind deshalb normalerweise an drei bis fünf Tagen pro Woche beim Sport. Man bewegt sich, kommt mal raus und trifft Leute. Feste Termine sind viel leichter einzuplanen und in den Alltag zu implementieren, als wenn man sich alleine aufraffen muss, vor oder nach einem langen Arbeitstag noch joggen zu gehen.
Mal ganz davon abgesehen, dass alleine oder selbst zu zweit joggen zu gehen den meisten von uns nun wirklich bei weitem nicht so viel Spaß macht, wie Jugger oder Quidditch zu spielen. Oder was auch immer wir normalerweise für Sport treiben, denn wenn Joggen unsere größte Begeisterung wäre, würden wir ja auch sonst joggen und nicht irgendeinen unpopulären Sport ausüben.
Und joggen tut man, besonders im Moment, halt auch alleine. Oder mit einzelnen Freunden, die man am ehesten auch sonst noch trifft. Natürlich ist die Reduktion von Sozialkontakten ja genau der Sinn dieser Maßnahmen. Ich treffe jetzt regelmäßig noch fünf oder sechs Leute - Partner und die engsten Freunde eben. Damit habe ich eigentlich schon das Gefühl, noch zu viele verschiedene Kontakte zu haben.
Im Vergleich zum Normalzustand, wo ich über Uni, Arbeit, Jugger und Klettern pro Woche mehr oder weniger nahen Kontakt zu eher 20 bis 30 Menschen habe, ist das aber natürlich schon deutlich reduziert. Genau diese periphereren Sozialkontakte, die man zum Beispiel beim Sport trifft, aber nicht gerne genug mag oder gut genug kennt, um zu zweit im Park spazieren zu gehen oder sich zuhause zu Tee oder Abendessen zu treffen, sind es, die mir jetzt sehr fehlen.
Außerdem habe ich den Eindruck, dass bei mir und vielen anderen daraus inzwischen eine gewisse Distanz zu unserer Sportart und dem eigenen Team entstanden ist. Dadurch, dass eben der Großteil dieses Jahres sehr von den coronabedingten Beschränkungen geprägt war und auch bisher sehr fragwürdig ist, ob das nächste Jahr besser wird, hat man sich schon einigermaßen an den neuen Alltag gewöhnt.
Man hat weniger Kontakte und macht weniger Sport. Größere Events gibt’s nicht mehr. Dadurch wird man ein bisschen einsam, ein bisschen dick und unfit, der Alltag wird ein bisschen langweilig und man ist latent unausgeglichen, unzufrieden bis unglücklich. Besonderes letzteres wirkt sich dann auch auf andere Lebensbereiche aus. Eine negative Spirale entsteht.
Zumindest im Jugger habe ich das Gefühl, beobachten zu können, was passiert, wenn es den meisten Individuen in einer Community so geht. Nämlich nichts mehr. Ein bisschen liegt Jugger im Winter immer brach, weil es wenig Hallenturniere gibt, viele Teams im Winter weniger Training haben und vielen Spielern Rasensport ohne Rasen auch einfach weniger Spaß macht.
Aber bisher ist es dieses Jahr selbst für Winterverhältnisse wirklich sehr still im Jugger. Natürlich laufen noch ein paar Dinge im Hintergrund, wie beispielsweise die Arbeitsgruppen für die Regeländerungen. Aber sonst? Man hört nichts mehr, von niemandem. Wo seid ihr denn alle?
Ich habe den Eindruck, dass durch diese Funkstille auch communityweit bei vielen Spielern eine Distanz zu ihrem Hobby, der Community und ihrem Team entstanden ist. Jugger ist bis auf wenige Ausnahmen im Sommer beispielsweise einfach kein Teil meines Alltags mehr. Und dadurch, dass das bei meinen Teamkollegen und Freunden genauso ist, redet man eben auch über andere Dinge, wenn man sich trifft, und die Distanz wächst weiter.
Ich hoffe sehr, dass wir und die anderen unpopulären Sport-Communities das langfristig unbeschadet überstehen. Es werden sich wahrscheinlich einige Leute neue Hobbies suchen oder nach der langen Coronapause nicht wieder einsteigen. Möglicherweise werden einzelne Teams dadurch für ein oder zwei Jahre nicht spielfähig sein.
Genau wie viele andere bin ich nicht besonders glücklich mit der Gesamtsituation gerade und die Aussicht auf mehrere anstrengende Wintermonate stimmt mich auch nicht unnötig positiv. Aber das wird wieder. Irgendwann geht’s ja auch immer wieder aufwärts.
Bis dahin freue ich mich jetzt schon darauf, wenn wir irgendwann wieder normal miteinander Sport machen können, wann und wie das auch immer sein mag. Ich hoffe bald.