Jugger-Pionierin Marion Lieutaud: “Ich bin kein Einhorn”
von Hannah Wolff
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In ihrem Leben hat Marion Lieutaud von Turnen bis zu Fußball schon jede Menge Sportarten ausprobiert. Die ganz große Sportliebe fand sie aber erst im Jugger. Der Sport, in dem gemischtgeschlechtliche Teams mit waffenähnlichen Spielgeräten (Pompfen) aufeinder losgehen, um den Weg für den eigenen Läufer zu bereiten, wurde in den entscheidenden Finalspielen meistens von Männern dominiert. Lieutaud trat an dies zu ändern.
Mit ihrem aktuellen Team, Rigor Mortis, hat sie inzwischen mehrfach die deutsche Meisterschaft gewonnen. Dabei hat sie auf und neben dem Feld gezeigt, dass Frauen auch in einer gemischtgeschlechtlichen Sportart eine Führungsrolle einnehmen können. Im Finale der deutschen Meisterschaft stand sie als einziges Teammitglied ununterbrochen auf dem Feld und als Co-Trainerin trieb sie Rigor Mortis in den vergangenen Jahren zu Höchstleistungen an. Trotzdem bewahrte sich Lieutaud eine kritische Einstellung.
Im MUS-Interview spricht Lieutaud dementsprechend auch über die Probleme, die es aktuell noch in ihrem Sport gibt. Unterschwelliger Sexismus und ungleiche Ausgangspositionen für Männer und Frauen sind Themen, die sie bewegen. Außerdem erklärt sie, wie sie zu einer der besten Juggerspielerinnen weltweit wurde und wieso auch andere Frauen dieses Level erreichen können.
MUS: Jugger ist für dich DIE Sportart schlechthin. Was fasziniert dich so sehr an Jugger?
Marion Lieutaud: Es sind eigentlich mehrere Dinge. Athletisch gesehen ist Jugger ein sehr kompletter Sport, den ich wirklich genieße. Es fühlt sich an, als würde man dabei jeden Teil seines Körpers benutzen. Aber um ehrlich zu sein, das Wichtigste für mich ist, dass in diesem Sport Frauen genauso gut sein können wie Männer. Ich habe immer viel Sport gemacht und habe deshalb eine grundlegende athletische Basis, aber bei den meisten Sportarten, wie zum Beispiel Fußball, starten Männer und Frauen einfach nicht auf dem gleichen Level. In diesen Sportarten existiert das weit verbreitete Vorurteil, dass Frauen, die sehr gut sind, trotzdem nicht so gut sind wie Männer. Im Jugger hingegen ist das völlig anders. Ich habe zur gleichen Zeit angefangen, Jugger zu spielen wie andere Männer, die athletisch waren. Ich habe sehr schnell sehr intensiv trainiert und dann war ich genauso gut oder besser als die Männer. Sie hatten keinen Vorteil, weder körperlich noch sonstwie. Das war definitiv eine große Sache für mich.
MUS: Wie lange spielst du denn schon Jugger? Wie hat sich deine Karriere entwickelt?
Lieutaud: Ich habe 2013 angefangen zu spielen. Zu der Zeit lebte ich in Dublin. Eines Tages spielte ich mit einer Gruppe von Männern im Park Fußball und einer meinte, ich müsse unbedingt diesen anderen Sport ausprobieren. Ich würde ihn lieben. Also fing ich an, bei Setanta (Anm. d. Red.: das Jugger Team in Dublin) zu trainieren. Ich habe zwei Jahre für Setanta gespielt, bevor ich mit meinem damaligen Freund zurück nach Frankreich gezogen bin. Wir haben dort in Straßburg gewohnt und sind dem nächstgelegenen Jugger-Team beigetreten. Das war in Karlruhe und somit nur eineinhalb Autostunden entfernt.
MUS: Nur ...
Lieutaud: Ja. Lacht. Wir waren ziemlich engagiert. Wir haben insgesamt drei Jahre lang bei den Tackle Tigers in Karlsruhe gespielt und haben dort zum Kern des Teams gehört. Dann bin ich nach London gezogen, weil ich ein Promotionsstipendium in London bekommen habe. Zur gleichen Zeit zog eine andere Jugger-Spielerin aus Irland dorthin, Emily, und wir gründeten ein neues Team. Es ist ein kleines Team, was sich noch entwickelt. Wir fahren nur zu einem Turnier pro Jahr. Ich wünschte, ich könnte mehr Zeit und Energie hineinstecken, aber ich muss Jugger und meine Doktorarbeit unter einen Hut bringen. Deshalb konzentriere ich mich eher auf die Grundlagen. Ich sorge also zum Beispiel dafür, dass wir regelmäßig trainieren. Seit 2017 nehme ich außerdem an einem Doktoranden-Forschungsaustausch mit Berlin teil. Ich habe damals ausgehandelt, dass ich den Sommer jeweils immer in Berlin verbringen kann. Das erlaubt mir, für die Jugger-Saison in Deutschland zu sein. Und so spiele ich seit 2017 für Rigor Mortis.
MUS: Du hast schon die ein oder andere Sportart betrieben. Konntest du davon etwas für Jugger mitnehmen?
Lieutaud: Vom Fußball konnte ich auf jeden Fall etwas mitnehmen. Dass Fußball eine gute Grundlage ist, merke ich außerdem immer wieder, wenn ich andere Personen trainiere. Leute, die Teamsportarten mit einem Ball gespielt haben, sind meistens mit einer besseren Spielübersicht ausgestattet. Ich bin mir also sicher, dass mir das auf einer gewissen Ebene auch geholfen hat. Das Turnen war insofern hilfreich, als dass ich sehr gut falle. Ich muss mich zum Beispiel oft abrollen, wenn ich am Schild spiele. Ich habe mich dabei noch nie verletzt. Und es hat wahrscheinlich mein Gleichgewicht und meine Koordination trainiert. Ich habe nie wirklich Kampfsport gemacht. Fechten wäre für Jugger sehr nützlich gewesen. Aber das hätte sicherlich auch seine Nachteile gehabt. Der Fechthintergrund kann zu einem Tunnelblick im Zweikampf führen. Man verliert das Bewusstsein für den Rest des Spielfeldes. Da ich selbst aber nie gefechtet hab, hab ich dieses Problem nicht gehabt.
MUS: Eben hast du erzählt, dass du Jugger magst, weil Frauen dort genauso gut sein können wie Männer. Inwiefern hat sich das in den vergangenen Jahren geändert?
Lieutaud: Ich denke schon, dass sich das Ganze zum Positiven verändert hat. Es gab immer gute weibliche Spielerinnen. Frauen waren von Anfang an ein Teil der Community. Aber als ich anfing, gab es nicht viele Frauen, die konstant auf Top-Level gespielt haben. Ich habe mir damals viele Spielaufnahmen angeschaut und in vielleicht einer Aufnahme von einem Finale war eine Frau zu sehen. Sobald man ins Halbfinale kam, standen fast nur noch Männer auf dem Platz. Jetzt hingegen spielen Frauen sehr konstant in den Finals. Ich glaube nicht, dass es in den letzten zwei Jahren in Deutschland ein einziges Finale gab, in dem keine Frau auf dem Platz stand. Dabei ist wichtig zu betonen: Das bin auch nicht immer ich allein. Es gibt drei oder vier Frauen, verteilt auf die deutschen Top-Teams, die sehr konstant an der Spitze spielen. Das war früher nicht der Fall.
Eine wichtige Rolle bei dieser Entwicklung hat die Ausrüstung gespielt. Die Ausrüstung war früher viel schwerer. Und beim Jugger ging es früher viel mehr darum, mit dem Pompfen durchzupowern, als um schnelle, präzise Schläge, so wie es heute der Fall ist.
Trotzdem gibt es immer noch einen Gender Gap, in dem Sinne, dass Frauen eine Minderheit im Jugger sind und sie auf dem Top-Level immer noch unterrepräsentiert sind. Das gilt für Deutschland, aber mehr noch für Spanien, wo ich nicht glaube, dass in einem einzigen Top-Team eine Frau konstant spielt.
MUS: Das ist glücklicherweise in Deutschland anders …
Lieutaud: Genau. In Deutschland wird nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt, dass Frauen Spitzenspielerinnen sein können. Diese Tatsache haben wir inzwischen bewiesen - was noch nicht der Fall war, als ich angefangen habe. Damals war diese Möglichkeit eher eine abstrakte Sache. Es war theoretisch möglich, dass es weibliche Spitzenspielerinnen im Jugger geben könnte, aber es war noch nicht bewiesen.
MUS: Du bist dennoch immer noch eine Ausnahme, wenn es darum geht, auch in Finalspielen aufgestellt zu werden. Woran liegt das?
Lieutaud: Das hat viele Dimensionen. Frauen sind im Sport nach wie vor generell eine Minderheit und sie sind eine noch kleinere Minderheit, wenn es um Teamsportarten oder Kampfsportarten geht. Man hat also einen kleineren Pool von Frauen, aus dem man rekrutieren kann, um einen Sport wie Jugger zu spielen. Realistischerweise muss man auf dem Top-Level sehr athletisch sein. Das führt dazu, dass der Pool nochmal kleiner wird. Während der Saison hat man zwei Trainingseinheiten pro Woche, Turniere an jedem Wochenende und man muss zusätzlich eine Art von Ausgleichstraining machen, um sich fit und verletzungsfrei zu halten. Um auf dem Top-Level zu spielen, braucht man sehr viel Körperlichkeit und Einsatz. Für die meisten Menschen setzt das voraus, dass sie ihr ganzes Leben lang viel Sport getrieben haben. Das ist bei Frauen aus gesellschaftlichen Gründen häufig nicht der Fall. Sie sind nicht so sehr auf Sport getrimmt wie Männer.
MUS: Spielen auch körperliche Gründe eine Rolle?
Lieutaud: Ja. Es gibt auch einen körperlichen Aspekt. Selbst wenn man als Frau sehr sportlich ist, wird man im Durchschnitt langsamer sein als ein sehr sportlicher Mann. Schnell zu sein ist ein Vorteil im Jugger. Es ist zwar kein entscheidender Vorteil. Eine gute Spielübersicht zu haben, kann das mehr als ausgleichen. Aber es ist dennoch ein Vorteil. Viele Männer kompensieren die Tatsache, dass sie keine gute Übersicht haben, indem sie sehr schnell laufen. Aber als Frau, die nicht sehr schnell ist, hast du diese Möglichkeit nicht. Es gibt also durchaus einen biologischen Aspekt. Ich glaube allerdings nicht, dass dieser sich in anderen Bereichen als der Geschwindigkeit auswirkt, denn heutzutage ist zum Beispiel Kraft im Jugger nicht mehr so entscheidend.
MUS: Entscheidender scheint also der gesellschaftliche Aspekt zu sein. Du sagst, dass Frauen nicht so auf Sport getrimmt sind wie Männer. Kannst du das näher erklären?
Lieutaud: Ja, es gibt einen gesellschaftlichen Aspekt: Sexismus. Frauen werden chronisch unterschätzt und nicht so ernst genommen. Das ist eine klassische Folge des Patriarchats. Um auf dem Top Niveau zu spielen, muss man definitiv sehr durchsetzungsfähig sein. Ein Teil des Jugger-Spiels besteht darin, deine Calls sehr deutlich zu geben und durchzusetzen. Wenn du eine Person mit deiner Pompfe triffst, musst du ihr diesen Call geben und ihr bewertet gemeinsam, was in eurem Zweikampf passiert ist. Ich denke, Frauen sind sozialisiert, weniger durchsetzungsfähig zu sein. Es gibt viele Frauen, die zu mir gekommen sind und mich um Rat gefragt haben, wie sie sich im Jugger verbessern können. Meistens habe ich nur einen Rat: Ihr müsst bei euren Calls durchsetzungsfähig sein.
Bei diesem Thema gibt es zwei Dimensionen. Einerseits neigen Frauen dazu, übermäßig freundlich zu sein und das Urteil des anderen zu leicht zu akzeptieren, auch wenn sie die Situation anders gesehen haben. Das mache ich auch noch viel zu häufig. Außerdem gibt es eine Form von Sexismus, vor der Jugger nicht geschützt ist. Viele Männer tendieren in einem Zweikampf mit einer Frau dazu, zu denken, dass sie sie wahrscheinlich zuerst getroffen haben. Das ist nicht schwerwiegend. Es ist kein offener Sexismus, aber wenn sie zweifeln und die Frau keine berühmte Spielerin ist, geben sich Männer oft unterbewusst einen Vertrauensbonus und behaupten, sie hätten die Frau zuerst geschlagen. Es geht also in beide Richtungen. Einerseits werden Frauen unterschätzt. Andererseits sind sie weniger geneigt zu protestieren.
MUS: Wie bist du denn selbst mit diesem Thema umgegangen?
Lieutaud: Ja, das war ein Problem. Damit musste ich zu Beginn auch erstmal zurechtkommen. Als ich anfing, auf Top-Level zu spielen, war ich wirklich frustriert. Vor allem auch deshalb, weil ich nicht nur eine Frau bin, sondern auch noch Schild spiele. Mit dem Schild können die Leute ihre Treffer gegen mich nicht sehen und müssen mir vertrauen. Oft denken sie, sie hätten einen Treffer gelandet, aber ich habe ihn gerade noch geblockt. Das hat mich sehr frustriert, besonders bei einigen Topspielern, die meine Blocks nie akzeptiert haben. Ich habe dann drei Dinge getan, um damit umzugehen. Erstens: Ich habe weitergespielt, anstatt mich von der Frustration leiten zu lassen und aufzuhören. Zweitens: Ich habe diese Leute beiseite genommen und mit ihnen geredet, was gut funktioniert hat. Und drittens: Ich habe akzeptiert, dass die Leute mich vielleicht für arrogant halten und mich eine Zeit lang nicht mögen. Das ist unfair, denn das gleiche Maß an Durchsetzungsvermögen bei einem Mann ist völlig in Ordnung, aber für Frauen ist es gesellschaftlich nicht akzeptabel. Zu dieser Zeit habe ich ein bisschen was abbekommen. Es hat ein paar Jahre gedauert, aber als die Leute erst einmal akzeptiert hatten, dass ich eine Spitzenspielerin bin, war das kein Problem mehr.
MUS: Du hast all das überwunden und bist ganz oben angekommen. Fühlst du dich als Vorbild für andere Frauen im Jugger?
Lieutaud: Ich schätze, das bin ich wohl. Zumindest sagen mir die Leute das. Aber ich fühle mich nicht wie ein Vorbild. Ich weiß nichtmal, was das genau bedeutet. Trotzdem versuche ich, dieser Vorbildrolle gerecht zu werden. 2019 hatten wir ein Problem mit sexuellem Missbrauch in der Community. Und da habe ich wirklich gedacht, ich muss mich damit beschäftigen. Ich kann nicht die sichtbarste Frau in der Community sein und meine Hände in Unschuld waschen. Wer sonst ist so sicher und gleichzeitig so betroffen? Ich musste diese Art von Position einfach nutzen. Also ja, ich versuche, dem gerecht zu werden, aber ich weiß nie so recht, wie.
MUS: Glaubst du, dass viele Frauen dich tatsächlich als Vorbild nehmen, dir nacheifern und du in Zukunft irgendwann nicht mehr als Ausnahme gesehen wirst?
Lieutaud: Viele Leute, vor allem Frauen, stellen meinen Werdegang tatsächlich oft als Ausnahme hin. Sie sagen, dass ich unglaubliches Talent habe. Das weise ich aber vehement zurück. Das ist es nicht. Ich habe sicherlich einige Vorteile am Anfang gehabt, weil ich einen sportlichen Hintergrund hatte. Hinzu kommt, dass ich sehr, sehr hart trainiert habe. Und dann gibt es sicherlich noch einen Zufallsfaktor. Mein Aufstieg als Frau an die sportliche Spitze eines gemischtgeschlechtlichen Sports ist aber keine Magie gewesen. Ich bin kein magisches Wesen, was ungewöhnliche Kräfte hat und deswegen etwas erreicht, was normale Menschen nicht erreichen können. Ich bin kein Einhorn. Das können andere Frauen auch erreichen.
MUS: Was kann der Sport tun, damit er auch auf kompetitiven Level gemischtgeschlechtlich gespielt wird?
Lieutaud: Auch hier spielen verschiedene Dimensionen eine Rolle. Eine offensichtliche Sache sind bestimmt Formen von Sexismus, die in der Gesellschaft im Allgemeinen und damit auch in der Jugger-Community existieren. Sie spielen eine Rolle dabei, wie intensiv sich Frauen mit dem Sport beschäftigen, was sie im Sport erreichen, wie lange sie spielen und ob sie glauben, dass sie auf dem Top-Level mitspielen können. Wir können dagegen wirken, indem wir das Training anpassen und so gestalten, dass es besser auf Frauen zugeschnitten ist. Im Moment belohnen wir eine männliche Form der Athletik. Ein einfaches Beispiel ist, dass die Coaches in den meisten Amateursportarten Liegestütze machen lassen. Dabei ist das für die meisten Sportarten völlig irrelevant. Für Jugger zum Beispiel stärken Liegestütze nur die Rumpfmuskulatur und dabei sind sie nicht einmal die effizienteste Art, diese zu trainieren. Gleichzeitig, ist es eine Übung, die voll und ganz auf Männer zugeschnitten ist. Schon in ihrer Jugend habe Männer häufig Liegestütze gemacht und sie haben die nötige Schultermuskulatur dafür. Liegestütze sind darauf ausgelegt, Männer zu belohnen. Es gibt keinen Grund, sie so häufig in Trainingseinheiten einzubauen und letztlich fühlen sich die meisten Frauen dabei beschissen.
MUS: Nur mit dem Verzicht auf Liegestütze lässt sich ja vermutlich kein großer Wandel bewirken. Was muss sich sonst noch ändern?
Lieutaud: Frauen müssen im Jugger einige besondere Hindernisse überwinden, die wir im Training angehen können. Wir müssen realisieren, dass Frauen mehr Training brauchen, um auf dem Spielfeld selbstbewusst und durchsetzungsfähig zu sein. Das liegt nicht daran, dass Frauen von Natur aus schüchtern sind. Es ist einfach eine Frage der Sozialisation. Und deshalb müssen wir das trainieren. Ein weiterer Aspekt, den die Community angehen muss, ist das Thema der sexuellen Belästigung und insbesondere des sexuellen Missbrauchs. Wie in jeder Community gibt es im Jugger eine ganze Menge an unterschwelliger sexueller Belästigung, die recht häufig vorkommt. Vor allem, wenn man eine Frau ist. Vor allem, wenn man Single ist oder hübsch ist. Erschwerend kommt hinzu, dass Frauen in der Jugger-Community eine Minderheit sind. Alle sind ziemlich jung und viele sind Single. Das kann als Frau ziemlich anstrengend sein. Ich hatte vor nicht allzu langer Zeit ein Gespräch mit einer jüngeren Spielerin, die mich fragte, wie ich mit solchen Situationen umgehen würde, aber ich hatte keine gute Antwort. Schließlich war ich in meiner Jugger-Karriere fast nie Single. Zudem bekam ich sehr schnell den Ruf, jähzornig zu sein. Ich nehme an, Männer hatten durchaus Angst, dass ich einen Aufstand mache, wenn sie eine Grenze überschritten haben. Trotzdem wurde ich mit sexueller Belästigung konfrontiert.
MUS: Eigentlich gilt die Jugger-Community als ziemlich inklusiv. Also stimmt das letztlich nicht?
Lieutaud: Die Jugger-Community tendiert dazu etwas selbstgerecht zu sein. Wir nehmen uns als sehr inklusiv wahr und ignorieren dabei die tatsächliche gelebte Erfahrung von Frauen in diesem Sport. Da gibt es Männer, die dich nach Spielen ein bisschen zu lange umarmen und du bekommst eine Menge Aufmerksamkeit, die du nicht unbedingt willst. Das ist eine Sache, die die Vereine viel ernster nehmen müssen. Bei Rigor Mortis haben wir eine Position als Awareness-Person geschaffen, die die erste Anlaufstelle sein soll. Idealerweise möchten wir, dass diese Person entsprechend geschult wird. Wir schauen auch, ob wir ein Komitee auf Ligaebene einrichten können. Dieses könnte sich um Probleme kümmern, die ein Verein nicht angehen kann oder will. Aber selbst wenn es kein sexuelles Fehlverhalten gibt, haben viele Frauen im Moment das Gefühl, dass sie die meiste Aufmerksamkeit im Sport als Frau und nicht als Spielerin bekommen.
MUS: Was war dein emotionalster Moment oder dein schönster Erfolg im Jugger ?
Lieutaud: Der Moment, der mir immer in den Sinn kommt, ist das erste Mal, als ich mit Rigor Mortis die deutsche Liga gewonnen habe. Max, der Rigor-Kapitän, und ich waren zu diesem Zeitpunkt zusammen und keiner von uns hatte jemals die deutsche Liga gewonnen. Das war unser gemeinsamer Traum. Wir haben damals so hart daran gearbeitet, Rigor wieder zu einem richtig starken Team zu machen. Wir haben die ganze Woche über mögliche Taktiken gesprochen. Es war so intensiv. Und dann haben wir wirklich gewonnen. Das war ein wahnsinniger Moment. Eine Woche später war die WM (2018) und das Finale war ein unglaubliches Spiel. Es gab einen Live-Stream, in dem sich meine Familie das Spiel angeschaut hat. Als das Spiel vorbei war, habe ich auf mein Handy geguckt und hatte ungefähr 70 Nachrichten, weil meine Brüder und meine Eltern mir währenddessen die ganze Zeit geschrieben haben. Es haben auch richtig viele Leute vor Ort zugeschaut.
Ich denke, für mich war es einfach eine Art Befreiung. Ich habe jeden einzelnen Durchgang dieses Finals gespielt und ich glaube, ich war die einzige Person, die das getan hat. Zumindest bei Rigor. Danach hatte ich diesen Gedanken: Jetzt kann niemand mir jemals wieder sagen, dass ich es nicht verdiene, da zu sein, wo ich im Jugger bin. Ich hatte die ganze Zeit diese Unsicherheit, sogar bei Rigor, weil ich zu der Zeit mit dem Kapitän von Rigor zusammen war. Rational wusste ich, dass es absurd gewesen wäre, wenn die Leute gesagt hätten, dass ich keine großartige Spielerin wäre. Aber ich hatte trotzdem diese Angst in mir, dass einige Leute denken und sagen könnten, dass ich es leichter gehabt hätte. Aber danach wusste ich einfach: Das war's! Das kann mir keiner mehr erzählen. Niemals hätte Rigor mich jeden Durchgang des Finales spielen lassen, nur um nett zu sein. Es war unglaublich emotional. Und es hat mir eine Art von Gelassenheit im Sport im Allgemeinen gegeben, die ich vorher nicht hatte. Ich bin wirklich dankbar für diesen Moment.
Das Interview wurde geführt von Hannah Wolff